Deutsche Bahn und Cannstatter Wasen: „Verhaltensgestörte Personen“ – SPIEGEL ONLINE.
Klartext nicht erwünscht!
Ein Mitarbeiter der Bahn hat am Stuttgarter Hauptbahnhof darauf hingewiesen, dass bedingt durch ein Volksfest mit Verspätungen, überfüllten Zügen und verhaltensgestörten Personen zu rechnen sei.
Grund für diesen Hinweis war das Stattfinden des alljährlichen Cannstätter Volksfestes. Erfahrungsgemäß nutzen viel Besucher den Zug, damit sie auf dem Volksfest ohne Reue reichlich Bier und anderen Alkohol zu sich nehmen können. Und wir alle wissen, dass alkoholisierte Personen des öfteren ein merkwürdiges Verhalten an den Tag legen. Oder würden Sie als normaler und nüchterner Mensch auf dem Bahnsteig pinkeln, torkelnd Ihre Mitmenschen anrempeln, das Bierchen zuviel wieder erbrechen, lauthals schmutzige Lieder singen oder fremde Busen begrapschen?
Man kann dem Bahnmitarbeiter also nur dankbar sein für diesen freundlichen Hinweis. So kann man sich gegebenenfalls um eine Alternative bemühen.
Das hat man an vorgesetzter Stelle offensichtlich anders gesehen. Auf Nachfrage entschuldigt man sich bei der „Stuttgarter Zeitung“ für das eigenmächtige Handeln des Mitarbeiters. Man räumt zwar ein, dass während des Volksfestes die betrunkenen Gäste pöbeln und sich übergeben, und somit eine enorme Belastung für den öffentlichen-Nahverkehr darstellen, aber eine SOLCHE Meldung sei auf keinen Fall gerechtfertigt gewesen. Und die Sprecherin der Zeitung setzt noch eins oben drauf, indem sie meint, der Mitarbeiter müsse uns wirklich erklären, was er sich dabei gedacht habe!
Ja, was hat er sich wohl gedacht der Mitarbeiter! Die Wahrheit hat er gesagt. Den Besuchern des Volksfestes, die zu tief ins Glas geschaut haben, hat er den Spiegel vorgehalten. Nicht zu Unrecht hat er ihr Verhalten als gestört bezeichnet.
Aber Alkohol hat in unserer Gesellschaft im Gegensatz zu Tabak eine sehr hohe Akzeptanz. Die Schäden, die der Einzelne für sich oder die Allgemeinheit durch übermäßigen Alkoholgenuss verursacht werden tot geschwiegen. Der Rauch einer Zigarette wird dagegen schon als lebensbedrohlich stilisiert, weshalb in Zügen auch nicht geraucht werden darf. Wie wäre es denn mit null Promille im öffentlichen Nahverkehr? Oder zumindest mit 0,8 Promille, dann könnten die Betreffenden wenigstens noch geradeaus gehen und verfügten noch über ein Minimum an Benehmen. Nein hierüber wird nicht nachgedacht. Stattdessen stellt man den Bahnmitarbeiter an den Pranger. Hoffen wir mit ihm, das er nicht am Ende noch seinen Arbeitsplatz verliert.
Aber Denken und Klartext reden ist heutzutage wenig gefragt, und wie man sieht sogar verpönt. In einer Zeit der Likes und Pluses darf nur Gutwort geredet werden. Kritische Bemerkungen darf man allenfalls denken, wie lange wohl noch?