Eine junge Frau steht auf dem Dach eines Wohnhauses. Wie ist sie dahin gekommen? Warum zögert sie so lange? Wann springt sie endlich? Welchen Grund mag sie haben? Ist sie verrückt? Oder springt sie am Ende doch nicht? Was denken all die Menschen, die sich nach und nach vor dem Haus versammeln und sensationsgierig und ungeduldig darauf warten, was passiert?
Der Schritt ins Leere
Der Roman beginnt damit, dass eine noch unbekannte Person, die auf einem Dach steht, einen Schritt ins Leere macht. Es wird beschrieben, wie sie diesen freien Fall empfindet, was mit ihrem Körper passiert und wie sie im Fallen rotiert, „rotiert auf den Rücken, ob sie will oder nicht“. Dieser Anfang, obwohl nur etwas mehr als eine Buchseite, nimmt einem fast den Atem. Will ich weiterlesen? Ja, ich will!
Der Tag davor
Im ersten Abschnitt des Buches lernen wir die Personen kennen, die im weiteren Verlauf des Romans eine Rolle spielen werden. Es bleibt aber noch unklar, wer die Person ist, die herunterspringen wird. Dieser Teil endet damit, dass der Polizist Felix zu einem Einsatz wegen Suizidgefahr gerufen wird.
Der erste Tag
Auch wenn auf dem Dach eine Person steht, die sich vielleicht gleich das Leben nehmen wird, das Leben anderer geht weiter. Und so ist auch der weitere Verlauf des Romans. Wir wissen immer noch nicht, wer die unbekannte Person ist. Aber wir erfahren, wie sich vor dem Haus nach und nach die Menschen ansammeln, um das Geschehen zu verfolgen. Viele kennen sich in dieser Kleinstadt und sind in unterschiedlichster Weise miteinander verbunden.
Wir erleben den Polizeieinsatz und erfahren einiges über den Polizisten Felix und seine Vergangenheit. Die Presse ist vor Ort und die Feuerwehr hat ein Sprungtuch ausgebreitet für den Fall, dass die Person auf dem Dach herunterspringt.
Der Tante-Emma-Laden vor Ort hat endlich wieder Kundschaft, der Besitzer erwacht zur Freude seiner Frau aus seiner Depression.
Ein ehemaliger Hutmacher – heute Schlachter – kommt unerwartet wieder zu Ruhm und Anerkennung, weil ein Modedesigner in den Abendnachrichten zufällig einen seiner Hüte entdeckt und diesen für seine neue Kollektion haben möchte.
Eine brave Ehefrau wagt ein Abenteuer, weil sie wegen der Polizeiabsperrung nicht ins Haus zurück kann. Währenddessen amüsiert sich ihr Ehemann mit seiner Geliebten. Welche fatalen Folgen das hatte, ergibt sich erst am Ende der Geschichte.
Finn, ein Fahrradkurier, fährt eher zufällig am Ort des Geschehens vorbei und entdeckt dabei seine Freundin Manu auf dem Dach. Über seine Geschichte erfährt man dann ein wenig über diese junge Frau. Obwohl, eigentlich kennt er sie ja kaum. Nicht einmal den Nachnamen kann er der Polizei nennen.
Der zweite Tag
Dieser Abschnitt beginnt damit, dass die junge Frau am frühen Morgen “endlich” vom Dach springt bzw. in den Abgrund „spaziert“. Allmählich klärt sich die Frage, wie sie auf das Dach gekommen ist. War es wirklich Selbstmord? Ist sie verrückt? Das soll hier nicht verraten werden.
Eine spannende, kurzweilige Erzählung
Die Geschichte wird spannend erzählt. Obwohl bereits zu Beginn der Sprung geschildert wird, war ich mir bis zum Schluss nicht sicher, ob dieser Sprung tatsächlich erfolgt war oder ob das nur ein Gedankenspiel war.
Der Aufbau des Buches ist interessant. Erzählt wird in kurzen Kapiteln, jeweils aus der Sicht einzelner Personen – es ist also eher eine Momentaufnahme der Situation. Vielleicht sind es ein paar Figuren zu viel – ich habe mir auf einem Lesezeichen die Namen notieren müssen. Aber die Schilderungen sind lebendig und anschaulich und am Ende fügt sich alles zu einem Gesamtbild zusammen. Die Hauptperson mit ihren Gedanken und Empfindungen kommt nur in den Schilderungen des kurzen Moments, in dem sie den Sprung ausführt, zu Wort. Und diese Schilderung verbindet die drei Abschnitte.
Insgesamt ein unterhaltsames Buch, das ein paar Stunden Lesefreude bringt.
Simone Lappert – Der Sprung
Diogenes Verlag, Juli 2021
Taschenbuch, 336 Seiten, EUR 12,00(DE)
ISBN 978-3-257-24579-0
Nach deiner Beschreibung, kann ich mir die kleinen Geschichten drumherum noch spannender vorstellen als der eigentliche Akt des Springens der jungen Frau. Ja, das ist wohl einer jener Geschichten in denen die kleinen Abgründe des Lebens in der Summe tiefer erscheinen läßt als den einen grossen Abgrund vor der die Hauptfigur steht. Ein spannendes Thema, Klasse 🙂
Genauso war es. Wie die Menschen drumherum mit einer solchen Geschichte umgehen und wie das Leben der anderen einfach weitergeht, während da oben auf dem Dach jemand steht, der vielleicht bald springen und sterben wird.Danke für deinen Kommentar.
Liebe Helmi,
ich staune immer wieder, wie packend Du ein Buch vorstellst. Im Fall “Der Sprung” reizt mich der beschriebene ungewöhnliche Aufbau des Plots. Und wenn Du das Buch empfiehlst, weiß ich, es lohnt sich, es zu lesen. Ich danke Dir für die Anregung.
Danke für deinen netten Kommentar. Das Buch kann ich dir gerne ausleihen.