Man stelle sich bloß mal vor, man nimmt sich ein adequates Thema vor welches man mit der Streetfotografie in Deutschland erfassen und in einer Austellung präsentiert möchte. Nach einer Weile flattert eine Abmahnung eines Anwalts ins Haus mit einer Unterlassungserklärung ein Bild nicht mehr in der Ausstellung zu zeigen. Der Peinlichkeit dieses Bild aus der Ausstellung zu entfernen nicht genug. Die Klägerin strebt auch noch eine Klage wegen Schmerzensgeld vor Gericht an.
So geschehen bei dem Berliner Fotografen Espen Eichhöfer. In einer Ausstellung der renommierten Ostkreuz-Agentur vor der c/o-Galerie zeigte er ein Bild einer schick gekleidete Frau im Leopardenmantel, die die Straße überquert. In der Hand hält sie zwei Einkaufstüten, ihr Blick wirkt gehetzt. Das missfiel der abgebildeten Passantin. Sie verklagte Eichhöfer und die Galerie auf jeweils 4500 Euro Schmerzensgeld. Das Landgericht Berlin lehnte die Forderungen zwar ab, urteilte jedoch, dass der Fotograf die Persönlichkeitsrechte der Frau verletzt habe. Sebastian von 22places hat mit dem Fotografen zu diesem Fall ein Interview gemacht, dass ich euch nicht vorenthalten möchte.
Kannst du nochmal genau beschreiben, was dir passiert ist?
Als das C/O Berlin ins Amerikahaus umgezogen ist, wurden verschiedene Fotografen der Agentur Ostkreuz gefragt, ob sie für eine Ausstellung über Charlottenburg und die Menschen im Stadtteil Fotos machen. Ich war einer der Fotografen.
Ich stand für das Projekt tagelang auf einer Kreuzung beim Bahnhof Zoo und habe das Leben auf der Straße fotografiert. Klassische Straßenfotografie also. Am Ende hatte ich mehr als 1.600 Fotos. In die Auswahl für die Ausstellung kam auch ein Bild einer Dame im Leopardenmantel, die mit zwei Einkaufstüten die Straße überquerte.Und mit diesem Bild gingen die Probleme los?
Genau. Offenbar hat sie das Bild in der Ausstellung gesehen. Nach einiger Zeit erhielt ich eine Unterlassungserklärung ihres Anwalts. Wir haben das Bild also abgehängt und ich habe die Unterlassungserklärung unterschrieben.
Ich hätte das nicht unbedingt tun müssen. Wenn die Dame aber ein Problem mit der Abbildung hat, wollte ich ihrem Wunsch gern entsprechen.
Wenig später wurde jedoch über ihren Anwalt eine Klage gegen mich eingereicht, in der sie 4.500 Euro Schmerzensgeld für die Veröffentlichung forderte.Das ist viel Geld. Welcher konkrete Schaden ist der Klägerin denn entstanden?
Es gab verschiedene Erklärungsansätze der Klägerin. Auf dem Bild war im Hintergrund relativ klein der Schriftzug eines Leihhauses zu sehen. Die Klägerin argumentiert, dass ein Zusammenhang zwischen ihr und dem Leihhaus hergestellt wurde und sie deshalb Anspruch auf Schmerzensgeld habe.
Was hat das Gericht zu dieser Klage gesagt?
In erster Instanz wurde die Klage abgewiesen. Das Gericht hat der Klägerin somit kein Schmerzensgeld zugestanden. Gleichzeitig hat das Gericht in seinem Urteil aber auch gesagt, dass ich die Persönlichkeitsrechte der Klägerin verletzt habe.
Das ist wirklich problematisch. Wenn ein Gericht sagt, dass die Persönlichkeitsrechte höher wiegen, als die Kunstfreiheit, dann ist die Straßenfotografie faktisch am Ende. Das öffentliche Leben wird seit über 100 Jahren fotografisch dokumentiert, die Straßenfotografie hat großartige Kunstwerke hervorgebracht und gibt uns einzigartige Einblicke in das gesellschaftliche Leben verschiedener Epochen.
All das wäre in Zukunft nicht mehr möglich. Eine unverstellte, fotografische Dokumentation des Alltags würde es nicht mehr geben. Deshalb habe ich Berufung gegen das Urteil eingelegt, um endlich Rechtssicherheit für Street-Fotografen zu erreichen.Die Kunstfreiheit ist gesetzlich festgeschrieben. Sie ermöglicht es Fotografen, ungefragt Bilder von Personen zu veröffentlichen, wenn diese einem höheren Interesse der Kunst dienen. Die Frage ist natürlich: Was ist Kunst? Wenn deine Aufnahme in der renommiertesten Galerie von Berlin ausgestellt wird, kann man doch eigentlich davon ausgehen, dass sie auch künstlerisch wertvoll ist.
Ja, eigentlich schon. Es ist natürlich trotzdem immer schwer, hier Recht zu bekommen. Ich blicke nun schon auf eine längere Ausstellungskarriere zurück und habe es in meiner Argumentation sicher etwas leichter. Gerade als junger Fotograf ist es aber sicher schwer, sich auf die Kunstfreiheit zu berufen.
Hier brauchen wir mehr Rechtssicherheit. Die Praxis des Fotografierens in der Öffentlichkeit darf nicht kriminalisiert werden. Dafür möchte ich notfalls bis in die höchste Instanz gehen.Es gibt natürlich auch viele Kritiker der fotografischen Praxis. Warum hast du denn die Dame nicht einfach um Erlaubnis gefragt, ob du das Bild für die Ausstellung nutzen kannst?
Ich kenne natürlich die kritischen Stimmen und kann auch verstehen, dass Leute es kritisch sehen, wenn ungefragt Bilder von Personen veröffentlich werden. Leider ist es bei einem Projekt wie diesem einfach nicht möglich, jede fotografierte Person um Erlaubnis zu fragen.
Wie schon erwähnt, habe ich über mehrere Tage mehr als 1.600 Fotos für diese Serie geschossen. Im Nachhinein jeder fotografierten Person hinterher zu rennen, geht bei einem solchen Projekt einfach nicht. Klar hat man manchmal ein Gefühl, dass ein Foto sehr gut ist. Oftmals stellt man aber erst hinterher beim Sortieren der Aufnahmen fest, welche Fotos wirklich gut geworden sind.Du fragst also grundsätzlich niemals nach Erlaubnis?
Nein, so ist es auch nicht. Ich betone immer wieder, dass es total abhängig vom Verwendungs- und Verwertungszweck ist, wie ich im Einzelfall vorgehe.
Wenn ich eine Auftragsarbeit für den Stern oder den Spiegel mache, dann ist das eine private Nutzung. Da frage ich natürlich um Erlaubnis, ob ich die Fotos veröffentlichen darf. Teilweise frage ich sogar vor dem Foto. Das bedeutet dann aber auch, dass eine bestimmte Situation nachgestellt werden muss, man muss die Situation nachinszenieren.
Bei einer künstlerischen Arbeit wie dieser, ist das aber keine Option. Die Bilder zeigen einen ganz bestimmten Augenblick, der sich nicht nachinszenieren lässt.
Es ist aber auch nicht so, dass ich mit einem Teleobjektiv im Gebüsch sitze und Leute heimlich ablichte. In diesem Fall stand ich mitten auf dem Gehweg und habe ganz offen fotografiert. Wenn dann jemand auf mich zukommt, spreche ich natürlich auch ganz offen über das geplante Projekt und habe nichts zu verheimlichen.Du hast nun eine Crowdfunding-Kampagne bei Startnext gestartet. Was möchtest du damit konkret erreichen?
Als erstes gehen wir in die nächsthöhere Instanz. Unser Ziel ist es, Rechtssicherheit zu schaffen in der Frage, ob die Persönlichkeitsrechte wichtiger sind als die Kunstfreiheit. Notfalls wollen wir bis zur letzten Instanz gehen.
Um die Kosten dafür zu decken, benötigen wir etwa 14.000 Euro, die über die Kampagne bei Startnext eingesammelt werden sollen.Was passiert, wenn du bereits bei der nächsten Instanz Recht bekommst? Dann brauchst du wahrscheinlich nicht die vollen 14.000 Euro?
Das ist richtig. Wahrscheinlich ist es schwierig, das zu viel gezahlte Geld anteilig an die Unterstützer zurückzuzahlen. Das klären wir aber momentan noch.
Wenn das nicht möglich ist, möchte ich mit der restlichen Summe ein Symposium zum Thema Street-Fotografie organisieren, um mit namhaften Akteuren aus diesem Bereich dieser Kunstform eine Bühne zu geben und eine Diskussion zu starten.Ist es eigentlich das erste Mal, dass du rechtliche Probleme durch eine Veröffentlichung bekommen hast?
Bei mir persönlich schon. Viele meiner Kollegen bei Ostkreuz haben aber bereits ähnliche Probleme gehabt. Ich habe das Gefühl, sowas nimmt in letzter Zeit auch deutlich zu.
Wie hat eigentlich die Klägerin auf das Urteil reagiert?
Nicht nur wir haben Einspruch eingelegt, sondern auch die Klägerin. Sie möchte ihr Schmerzensgeld auch in der nächsten Instanz erstreiten.
Vielen Dank für das Gespräch, Espen!
Also es ist schon irgendwie der Knaller. Da besucht eine Person eine Streetfotografie Ausstellung um ihrem Voyeurismus zu fröhnen, denn mit dem eigentlichen Thema beschäftigen sich die aller Wenigsten, entdeckt sich selbst und verklagt den Fotografen und die Galerie auf Schmerzensgeld.
Sehr ähnlich erging es mir mit dem Titelbild zu diesem Beitrag. Ich habe dieses Bild gewählt weil es genau für diese Situation bezeichnend ist. Eine Ausstellung, Streetfotografie in Deutschland von Fotografen die mit der Leica ihre Arbeit gemacht haben. Mir ging es in der Szene um die unterschiedlichen Reaktionen der Betrachter in dem Pulk links. Jemand aus diesem Pulk sprang plötzlich auf, rannte auf mich zu und ermahnte mich aufs agressivste “ ich möge gefälligst vorher fragen ob ich fotografieren darf und wenn er sein Bild öffentlich irgendwo sehen würde so hätte es Konsequenzen für mich“ Wer auf dem Bild könnte das wohl gewesen sein? Aber die Situationsbilder anderer Menschen betrachten geht in Ordnung, – ja da wird sogar nach gegiert. Wie bekloppt muss man eigentlich sein um nicht diesen Wiederspruch in sich zu erkennen?
Dummheit kommt eben immer im Kleid der Intoleranz daher. Ich schätze es sind auch jene Leute die sofort aufschreien und ein gesetzliches Verbot einfordern. Sehr zur Freude zahloser Juristen die mit dieser Dummheit ihr Geld verdienen.
Georg Dietz vom Spiegel hat sich zur Streetfotografie in Deutschland Gedanken gemacht und sein Beitrag „Boom, gelöscht, verschwunden“ ist nicht nur ein Aufschrei sondern spricht mir auch voll aus dem Herzen. Zum Ende seines Beitrags stellt er entscheidene Fragen die ich hier auch zum Schluss meines Beitrags übernehmen möchte:
Wie entsteht das Bild einer Zeit?
Wem gehört das Bild einer Zeit?
Welche Rolle spielt die Kunst dabei?
Was passiert, wenn die Kunst nicht mehr frei ist in dem, was sie will und kann?
Wie verändert sich eine Gesellschaft, die sich kein Bild mehr von sich machen kann?
Das Recht ist für die Frage zuständig, in welcher Welt wir leben wollen, es ist die Blaupause einer möglichen Gesellschaft.
Die Kunst ist für die Frage zuständig, in welcher Welt wir tatsächlich leben, sie ist das Abbild einer konkreten Gesellschaft.
Diesen Widerspruch müssen wir aushalten, wir müssen ihn sogar verteidigen, wenn wir eine freie Gesellschaft wollen.