Rhodos Stadt
Die Nacht wird jäh unterbrochen. Nach dem wir schon abends Blitz und Donner sicher und trocken vom Balkon aus bestaunen konnten, werde ich nachts daran erinnert in welchem Land ich mich befinde. In Griechenland, wo der Donnergott Zeus sein Unwesen treibt. So kommt es mir zumindest vor, als ich den lauten Donnerschlag vernehme, der mich unvermittelt aus meinen süßen Träumen von Sonne, Strand und Meer reißt. Ich bin schlagartig hellwach. Burkhard neben mir im Bett blinzelt, setzt sich auf und raucht erst mal eine Zigarette. Manchmal beneide ich ihn darum. Ich weiß noch ganz genau, wie entspannend es sein kann, in solchen Momenten eine Zigarette zu rauchen. Ich war lange genug selber Raucherin. Leider war ich aber auch Kettenraucherin. Mindestens vierzig Stück am Tag und manchmal noch mehr. Und deshalb bin ich wiederum froh, dieser Sucht entkommen zu sein. Das war nicht leicht und deshalb komme ich gar nicht auf die Idee, auch nur eine Zigarette wieder anzuzünden. So schnell könnte ich wieder einen Rückfall erleiden und der Weg, davon los zu kommen ist mir viel zu beschwerlich, als das ich hier und heute wirklich leichtsinnig eine Zigarette rauchen würde.
Ok, trotz Donner drehe ich mich im Bett noch einmal um und ziehe die Decke über den Kopf. Ein oder zwei Stunden Schlaf sollten doch noch möglich sein.
Heute wollen wir Rhodos-Stadt erkunden. Wie im Reiseführer beschrieben erreichen wir ohne Problem mit einem öffentlichen Bus in rund zwanzig Minuten das Zentrum. Vom Bus aus sieht man schon die große Festung und die dicken mittelalterlichen Mauern, die den alten Stadtkern umgeben. Genau das ist unser Ziel. Wir gehen zunächst einmal zum Hafen runter. Noch gibt es mächtige Wolken und der blaue Himmel ist nur teilweise zu sehen. Das stört aber nicht. Im Gegenteil, die Fotos werden bei dieser Kulisse um so schöner sein. Es gibt nichts langweiligeres als makellos blauen Himmel auf jedem Bild. Obwohl wir Mitte Oktober haben tummeln sich hier jede Menge Touristen. Ein Sprachenwirrwar wie in Babylon umgibt einen hier. Dort italienisch, hier deutsch, hinter mir polnisch. Ach wäre das schön, wenn es in Europa nicht nur eine Währung, sondern auch eine gemeinsame Sprache gäbe. Zumal das einfacher zu realisieren wäre als ein stabiler Euro. Nach einem langen Spaziergang um den nördlichsten Wendepunkt der Insel herum gehen wir zurück zum mittelalterlichen Teil der Stadt. Wir starten unseren Rundgang an der Zitadelle. Sie wird von einem mächtigen Graben umgeben, den wir durchqueren. An manchen Stellen in der Mauer gibt es noch große Löcher. Ob die wohl noch von damaligen Kanonenschüssen stammen? Es ist insgesamt ein imposantes Bauwerk. Hier hätte auch ich mich zu früheren Zeiten sicher gefühlt. Wir gehen weiter und erreichen schließlich die lebendige Altstadt. Und wie lebendig sie ist. Ein Souvenirshop neben dem anderen. Jede Lücke ist ausgefüllt. Dazwischen Restaurants und Cafes. Wohin der Blick auch geht. Auf allen Dächern haben sich die Restaurants breit gemacht und überall sitzen Touristen. Wie hatte ich doch gleich im Reiseführer gelesen: „Schlendert man durch die Gassen mit schattigen Hinterhöfen, urigen Kneipen, halb verfallenen Moscheen und fein herausgeputzten Ritterhäusern, scheint oft die Zeit stehen geblieben zu sein.“ Genau das hatte ich erwartet. Aber wo bin ich dann jetzt? Wo soll dieses Paradies sein? Bestimmt nicht hier, wo sich die Touristenmassen nicht nur ebenerdig, sondern eben auch über den Dächern der ganzen Stadt aufhalten.
Das ist der Frust pur. Richtig empört bin ich. Wie kann man ein solches Kleinod so verunstalten. Hatte ich nicht im Reiseführer gelesen, dass die UNESCO diese Altstadt zum Weltkulturerbe ernannt hat. Und in Dresden macht man wegen dem Design einer einzigen Brücke ein Affentheater. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Das ist mehr als ich ertragen kann. Wir verlassen diesen Ort des Schreckens am nächsten Stadttor und ich hole draußen erst einmal tief Luft.
Wir setzen uns auf ein niedriges Mäuerchen und sammeln die Gedanken. Die widersprüchlichsten Gefühle befallen mich. Bin ich zu empfindlich. Ist es so, wenn man älter wird. Scheinbar gefällt dieser Rummel doch vielen Leuten. Sonst könnte man hier doch kein Geschäft machen. Also muss es doch an mir liegen, dass mir das soeben gesehene so gründlich missfällt. Aber das lasse ich so nicht gelten. Ich lese noch einmal im Reiseführer die zuvor zitierte Stelle nach. Der Reiseführer ist in 2010 aktualisiert worden. Wie kann der Autor zu einer so ganz anderen Meinung kommen. Da kann doch irgend etwas nicht stimmen. Wir überlegen noch eine Weile und kommen zu dem Entschluss, dass man allem eine zweite Chance geben muss. So auch der Altstadt von Rhodos. Wir gehen noch ein paar Meter die Mauer entlang und nehmen das übernächste Tor wieder hinein in die Altstadt. Ganz vorsichtig taste ich mich hinein. Auch hier sind viele Touristen, aber es gibt längst nicht mehr so viele Geschäfte und Bars wie vorhin. Noch ganz skeptisch gehen wir weiter durch ein paar enge Gassen. Die Touristen werden weniger. Hin und wieder sieht man Überreste von alten Ausgrabungen, die offensichtlich nicht beendet worden sind. Vielleicht ist das Geld ausgegangen, vielleicht war das Gefundenen auch nicht so wertvoll. Wer weiß das schon. Hier gibt es auch noch ein paar Wohnhäuser. Auch ein kleines Hotel mit einem Tisch und Stühlen vor dem Eingang. Hier gehen die Uhren langsamer. So scheint es zumindest. Wir haben wohl endlich ein wenig dessen gefunden, was wir gesucht haben. Ein bisschen Vergangenheit, ein bisschen Atmosphäre. Ich genieße die Stille und komme langsam zur Ruhe. Als wir nach einiger Zeit wieder den touristischen Teil der Altstadt erreichen stört es mich nicht mehr ganz so. Wir nehmen in einem Cafe Platz und bestellen einen Eisbecher. Nun geht es mir wieder gut. Wie immer in so einer Einkaufszone lästern wir voller Begeisterung über die Vorbeiziehenden. Ich habe dabei nie ein schlechtes Gewissen. Warum auch – ich gehe davon aus, auch über mich lästert man in ähnlicher Weise. Und mich stört das dann ja auch nicht.
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