Die Oasenstadt Chiwa – UNESCO Weltkulturerbe – beherbergt viele außergewöhnliche Baudenkmäler, so zum Beispiel die Medrese Muhammad Amin Chan, in der heute ein Hotel untergebracht ist, und das berühmte Minarett Kalta Minor, dessen bunte Kacheln im Sonnenlicht wunderbar glänzen.
Nach einem sehr frühen Inlandsflug von Taschkent nach Nukus, einem Besuch in dem dortigen Savitskiy Museum mit seiner ansehnlichen Sammlung russischer Avantgarde-Kunst, und schließlich einer langen Fahrt durch karge Landschaft mit Besuch einer Jurte erreichen wir am späten Nachmittag Chiwa.
Medrese Muhammad Amin Chan
Ein langer, anstrengender Tag liegt hinter uns. So bin ich froh, dass wir direkt zu unserer Unterkunft fuhren, die sich im Zentrum des alten Stadtkerns befindet.
Wir sind im Hotel Orient Star, der ehemaligen Medrese Muhammad Amin Chan untergebracht. Die Räume gruppieren sich auf zwei Ebenen um den großen Innenhof. Wir müssen eine steile, enge Treppe emporsteigen, um zu unserem Zimmer zu gelangen. Der Schlafraum ist klein und dunkel. Eingerichtet ist er mit landestypischen Möbeln und Gegenständen. Auf dem Steinfußboden liegen bunte Teppiche. Im letzten Jahrhundert studierten hier noch 250 Studenten. Es ergreift mich ein besonderes Gefühl, nun in einem dieser kleinen ehemaligen Studierzimmern zu nächtigen.
Bei einem Rundgang durch den Innenhof am nächsten Morgen stelle ich verwundert fest, dass keine Tür der anderen gleicht. In die alten Holztüren sind kunstvolle Ornamente geschnitzt, und jedes Motiv ist anders. Für mich war es die schönste Unterkunft während unserer Reise durch Usbekistan.
Altstadt von Chiwa
Nach einem ausgiebigen Frühstück begeben wir uns gemeinsam mit Ira, unserer Reiseführerin, auf einen Rundgang durch diesen alten Teil von Chiwa.
Die ältesten Steine sollen 2.500 Jahre alt sein, schenkt man den Archäologen Glauben. Auf jeden Fall war Chiwa bereits im 14. Jahrhundert eine bedeutende Handelsstadt an der Seidenstraße. Aufgrund immer wieder entstandener Unruhen, Pest und Hunger war Chiwa Mitte des 18. Jahrhunderts fast ausgestorben. Das heutige Bild der Altstadt entstand erst danach, als Anfang des 19. Jahrhunderts ein neuer Herrscher die Macht übernahm. In dieser Zeit wurde Chiwa als Festung ausgebaut. Die durch vier Tore verbundene innere Mauer ist noch gut erhalten. Auf sehr kleinem Raum drängen sich die vielen Sehenswürdigkeiten.
Der Palast Tasch-Hauli
….. oder Toshxauli Palast liegt im östlichen Teil der Ichan Kala Altstadt. Dieser Komplex besitzt drei Innenhöfe und einen rechteckigen Grundriss. Im südlichen Teil befindet sich der Empfangshof, Arz-Khovli, und ein Hof für vergnügliche Unterhaltung, der Ishrat-Khovli. Im nördlichen Teil befindet sich der Harem. Ein Labyrinth von Gängen und Korridoren verbindet die Höfe und Gebäude. Die beiden Eingänge befinden sich auf der West- und Südseite.
Zum Bau des Palastes wurden Ziegel höchster Qualität verwendet und die Begrenzungsmauern werden von kleinen Zinnen geschmückt. Von diesen Mauern heben sich die wohlproportionierten Türme ab. Im südlichen Teil der Innenhöfe befinden sich vor den Hauptgebäuden einsäulige Ayvane. Auch der Harem verfügt über fünf sehr aufwändig gearbeitete Ayvane, die darauf ausgelegt sind, die Nordwinde einzufangen. Hinter diesen Ayvanen befinden sich nach dem Durchschreiten eines Majolika-Einganges mit bemalter Decke noch zwei weitere Wohnräume.“
So oder so ähnlich sind die Ausführungen von Ira gewesen. Wir haben von diesem Palast alles, aber auch wirklich alles gesehen. In meinem Hirn tat sich irgendwann nach dem zehnten Raum ebenfalls ein Labyrinth an Namen, Daten und Fakten auf. Ich hab mich etwas abgesetzt und das Treiben im Palast beobachtet.
Minarett Kalta Minor
Ins Auge fällt das Kalta Minor, das „kurze Minarett“ direkt neben unserm Hotel. Es sollte einmal das höchste Minarett der Stadt werden, aber nach dem frühzeitigen Tod seines Auftraggebers wurde der Bau nicht mehr fortgeführt. Mit seinem Durchmesser von 14 Metern lässt es erahnen, wie gewaltig dieses Monument werden sollte. Und auch heute besticht es durch seine grün und gelb glasierten Kacheln, die im Sonnenlicht glänzen.
Dschuma Moschee
Das beeindruckendste Bauwerk für mich ist die Dschuma Moschee. Eine schlichte große Halle, deren Holzdecke von mehr als 200 Säulen getragen wird. Manche dieser Holzsäulen lassen sich bis in das 10. Jahrhundert zurückdatieren. Alle sind auf die unterschiedlichste Art und Weise mit Ornamenten verziert. Die Motive umfassen sowohl streng geometrische Formen, arabische Schriftzeichen als auch verspielte Blumenmuster. Alle Säulen verjüngen sich zum Boden hin, um in dem erdbebengefährdeten Gebiet eine größere Standsicherheit zu erreichen. In der Halle ist es recht dunkel, da lediglich von den zwei gegenüberliegenden Eingänge etwas Licht einfallen kann. Das verstärkt die mystische Stimmung, die dieser Raum ausstrahlt.
Jahrmarktstimmung
Wieder zurück in den kleinen Gassen der Altstadt verändert sich allmählich das Bild. Zahlreiche geschäftstüchtige Kunsthandwerker und Souvenirhändler haben entlang der Straßen ihre Stände aufgebaut. Neben den landestypischen Teppichen, bestickten Tischdecken, Tüchern, Pelzmützen und Bildern in Miniaturmalerei wird hier eine Menge Kitsch angeboten. Inzwischen haben sich unter die paar Europäer viele Besucher aus den umliegenden asiatischen Ländern gemischt. Sie scheinen einen anderen Geschmack zu haben und erfreuen sich offensichtlich an dem, was ich als Kitsch bezeichne.
Leider beschränkt sich dieses Überangebot an Souvenirartikeln nicht auf die an der Straße aufgebauten Stände. Im weiteren Verlauf erleben wir es immer wieder, dass diese Waren vor und in jeder Moschee, jeder Medrese und jedem Palast, sei es noch so abgelegen, feilgeboten werden. Man kann dem nicht entgehen. Aber besonders schlimm ist es hier in Chiwa. Schade. Und was sagt unsere Reiseleiterin hierzu. „Wovon sollen die Leute sonst leben. Sie wollen etwas hinzu verdienen. Das muss man verstehen.“ So gehen die Meinungen halt auseinander.
Chiwa von oben
Der Nachmittag steht zur freien Verfügung. Den besten Blick über die Stadt hat man von der Zitadelle Kohne-Ark aus. Nachdem wir die hohen Steinstufen erklommen haben, werden wir mit einem freien Blick nach allen Seiten bis weit über die Altstadt hinaus belohnt. Bis auf eine kleine Gruppe Asiaten ist es hier oben ganz ruhig. Mit Muße genießen wir den Blick auf die vielen unter uns liegenden Kuppeldächern und das hoch aufragende Minarett der Medrese Islam Hodscha, und wir warten auf das beste Fotolicht. Die letzten Strahlen der Sonne tauchen die Stadt in ein warmes Licht ein. Nach dem Trubel tagsüber genieße ich diesen Moment ganz besonders.
Sandsturm und Blaue Stunde
Zum Abendessen führt uns Ira in ein Restaurant. Kaum haben wir draußen Platz genommen, zieht ein Sandsturm auf. Auf einmal wird mir bewusst, dass Chiwa eine Oase ist, die mitten in der Wüste liegt. Dank des großen Flusses Amudarja können weite Flächen landwirtschaftlich genutzt werden. So kann man schnell vergessen, dass Chiwa dennoch umgeben ist von der Wüste Kizilkum im Norden und der Wüste Karakum im Süden. Rasch nehmen wir unsere Gläser und Teller. Wir suchen uns einen freien Tisch im Inneren des Restaurants.
Auf dem Weg zurück in unser Hotel hat sich der Sturm gelegt, die Luft ist noch voll von winzigen Sandpartikeln. Die Bauwerke sind bunt angestrahlt. In diesem Licht flimmern die Sandkörner. Dadurch verbreitet sich eine ganz eigenartige Stimmung, die Burkhard in seinen Fotos wunderbar festgehalten hat.
Fazit
Ja, man muss Chiwa gesehen haben, wenn man nach Usbekistan reist. Auf jeden Fall ist diese Fülle an Moscheen, Medresen und Palästen beeindruckend. Wenn man die vielen Souvenirstände ausblendet, dann hat Chiwa die Auszeichnung als Weltkulturerbe zweifelsohne verdient. Aber man muss wissen, es ist dort wie in einem riesigen Freiluftmuseum. Nichts ist authentisch. Die wenigen Häuser, in denen noch Einheimische wohnen, haben keinen Wasseranschluss. Und daran will man auch nichts ändern, damit diese Wenigen in das äußere Chiwa umziehen. Offensichtlich soll der Altstadtbereich nur noch touristisch vermarktet werden. Ich persönlich finde das schade. Denn zur Geschichte einer Stadt gehören die Menschen, die dort gelebt haben und dort leben. Ohne ist es eine tote Geschichte, die man sich am Ende auch in einem Bildband ansehen kann. Aber ein paar Einheimische trifft man doch noch auf Chiwas Straßen .