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Inselrundfahrt

_DSC1256Dieses Mal wollen wir Pauschaltourismus pur erleben. Also mieten wir kein Auto, stattdessen melden wir uns für eine organisierte Inselrundfahrt an. Ganz Rhodos in nur 10 Stunden für 46 Euro pro Person. Na dann mal los!
Gegen 8 Uhr kommt der Bus. Noch ist er fast leer. Aber das ändert sich bald. Die erste Stunde der Rundfahrt besteht nämlich erst einmal darin, die Fahrgäste in ihren Hotels abzuholen. So hat man Gelegenheit, sich die anderen Hotels und die Umgebung anzusehen. Zuhause könnte man dann Vergleiche mit dem Reiseprospekt anstellen – man kann das aber auch lassen. Also in Lindos sind wir endlich komplett – fast 60 Sitzplätze hat der Bus und am Ende ist er voll besetzt. Das kann ja heiter werden. Bei jedem Busstop und bei jeder Pinkelpause 60 Personen raus und wieder rein in den Bus. Da braucht es Nerven. Aber zunächst haben wir in LIndos Gelegenheit zu einer ersten Besichtigungsrunde. Die auf einer Anhöhe liegende Akropolis soll heute nicht wie im Programm vorgesehen zu besichtigen sein. Es werde gestreikt, so dass der Eintritt nicht möglich sei. Die Reiseleiterin sieht das positiv. Sie erklärt freudestrahlend, sie habe uns damit 300 mühsame Stufen bergauf erspart. Vielleicht ist der Streik auch nur vorgeschoben und sie selber will sich diesen Aufstieg ersparen. Wer weiß das schon so genau. Ein Streik kann auch ganz schön praktisch sein. Es gibt halt immer zwei Seiten einer Medaille.
Die Reiseleiterin heißt Maria wie rund 90 Prozent aller Frauen auf dieser Insel. Man braucht nur Maria zu rufen, und fast alle einheimischen Frauen fühlen sich angesprochen. Maria geht also mit uns in die Altstadt von Lindos und will uns dort zwei Sehenswürdigkeiten zeigen. An einer alten Kirche bleiben wir stehen. Das ist gar nicht so einfach. Hier kann man nicht einfach so stehen bleiben. Die Gassen sind recht eng und von hinten drängeln sich schon die nächsten Touristen oder auch die eigenen Mitfahrer. Die Kirche hätte ich selber gar nicht erkannt. Denn auch hier – wie schon in Rhodos-Stadt – befinden sich fast ausschließlich Souvenirläden, Restaurants und Cafés – dicht an dicht. Ich weiß gar nicht, wer all die Badelatschen, Sonnenbrillen und Schirmmützen kauft. Mit dem Angebot aus einer einzigen Stadt hier auf Rhodos könnte man halb Deutschland versorgen, wenn wir denn so etwas benötigen würden.
Hinter mir klingelt ein Handy. Eine Mitfahrerin aus unserer Reisegruppe wird von ihrer Tochter angerufen. Diese braucht offensichtlich Hilfe beim Umzug zuhause. Lautstark unterhält sich die Mutter mit ihr, so dass ich jedes Wort verstehen kann. Keiner hat mich gefragt, ob ich das will. So erfahre ich von dieser Familie mehr als mir lieb ist. Der Dialog erinnert an die allzu bekannten Daily-Soaps im Fernsehen. Nun mustere ich diese Person etwas eindringlicher. So lautstark wie ihre Stimme, so gewaltig ist auch der Korpus aus dem diese nicht abzustellenden Schallwellen entweichen. Ein kurze weiß Hose verhüllt nur teilweise die stämmigen Beine, ein signalrotes XXL T-Shirt umspannt den aufgeblähten Bauch. Ein Stoppelhaarschnitt auf einem relativ kleinen Kopf bildet den krönenden Abschluss. Diese Stimme werde ich fortan nicht mehr los. Nachdem sie endlich aufgehört hat zu telefonieren, erzählt sie ihren mitreisenden Kindern und Schwiegerkindern von ihrem gerade geführten Telefonat. Ich muss mir das Ganze also nochmals anhören. In dieser engen Gasse versuche ich nur noch eines, diesem Stimmengewirr zu entkommen. Die Erläuterungen der Reiseleiterin, die ich ohnehin kaum mitbekommen habe, sind mir nicht mehr so wichtig. So schnell ich kann trete ich die Flucht nach vorne an. Ich hole tief Luft und versuche mich zu entspannen.
Nach einer Stunde Aufenthalt geht es weiter in den Süden der Insel, vorbei an weiten Flächen, wo Wein angebaut wird. Dann kommt die gefürchtete Pinkelpause inklusive Fotostopp. Oder ist das umgekehrt. Egal, 60 Personen steigen aus, stehen minutenlang am WC an, machen drei Fotos von einer ganz bestimmten Stelle aus und steigen schließlich wieder ein. Manche haben ein Problem damit ihren Platz im Bus gleich wieder zu finden. Das Gedrängel ist groß. Schließlich sitzen alle wieder. Das hat mindestens dreißig Minuten, wenn nicht gar fünfundvierzig Minuten gedauert. Aber es ist ja Urlaub, da hat man alle Zeit der Welt, oder?
Nun kommt natürlich das Wichtigste bei jeder Rundfahrt – „Essenfassen“. Oder wie sonst kann man das nennen, wenn 60 Personen in einer Stunde abgefüttert werden sollen. Natürlich ganz freiwillig. Uns wird ein Menü angeboten mir mehreren Gängen für 12 Euro, inklusive Tischwein soviel man möchte. Das ist natürlich ganz wichtig. Schließlich kann man dann auf der Weiterfahrt besser schlafen. Ein Nachmittagsschlaf im Urlaub ist doch so angenehm, auch im Bus. Wir beeilen uns und suchen uns im Restaurant einen Platz an einem Tischende um der lärmenden Menge ein wenig zu entfliehen. Das war aber ein entscheidender Fehler. Wir hätten besser gewartet und uns dann schon sitzende Tischnachbarn aussuchen können. So konnten wir das nicht mehr beeinflussen. Wir sitzen also glücklich auf unserm vermeintlich ruhigen Platz als eine mir bekannte Stimme näher kommt. Der Stoppelhaarschnitt in rotem XXL T-Shirt. Sie sieht die freien Plätze neben uns und mit eindringlicher Stimme befiehlt sie ihrer Sippschaft dort Platz zu nehmen. Sie selbst lässt sich neben Burkhard nieder, der nun kaum noch Platz hat. Tausend Gedanken gehen mir durch den Kopf. Einerseits bin ich hungrig, andererseits möchte ich am liebsten flüchten. Diese Frau hat nicht nur eine laute Stimme und einen ziemlich eingeschränkten Wortschatz (um es höflich auszudrücken), nein sie hat auch so eine alles umgreifende Art an sich, die in mir Platzangst auslöst, ohne dass diese Person direkt neben mir sitzen muss. Auf dem Tisch steht bereits der angekündigte im Preis inbegriffene Tafelwein. Sie nimmt die Karaffe, schenkt sich Wein ein und nimmt einen kräftigen Schluck. Sie schüttelt sich – wobei ihre zahlreichen Pfunde gewaltig beben – und erklärt lautstark das sei ja Essig. Ich befürchte schon, sie würde den Wein wieder ausspucken. Das unterlässt sie aber – Glück gehabt. Nun steht es aber fest – hier werde ich keine Minute länger bleiben. Ich sehe Burkhard an. Wir verstehen uns ohne Worte, stehen auf und verlassen fast fluchtartig das Lokal.
Burkhard erinnert sich, dass er am Ende der Straße ein Restaurant gesehen habe. Zuversichtlich machen wir uns auf den Weg. Zur Not habe ich noch Erdnüsse mit Sesam und Honig umhüllt. Verhungern werden wir schon nicht. Nach einem kleinen Fußmarsch erreichen wir auf der linken Seite tatsächlich ein kleines Restaurant. Wir nehmen draußen Platz an einem für Griechenland so typischen blauen Holztisch. Wir sind fast alleine. In einer Ecke sitzt eine kleine Gruppe Einheimischer. Es könnten Handwerker beim Mittagstisch sein. Seitlich von uns sitzt ein Grieche mit dichtem weißen Deckhaar und langem Bart bei einem Kaffee und legt Patiencen. Der Kellner bringt die Speisekarte. In Anbetracht der Tatsache, dass das angepriesene Menü auch Tsatziki beinhalten sollte, bestelle ich ebenfalls Tsatziki. Wenn nachher im Bus alle Knoblauch ausdünsten, dann ist das nur dann auszuhalten, wenn man selber auch Knoblauch gegessen hat. Dazu bestelle ich Dolmades. Das sind gerollte Weinblätter gefüllt mit Reis und Hackfleisch. Sie sehen aus wie kleine, grüne Kohlrouladen, schmecken aber natürlich ganz anders. Das war eine gute Wahl. In Deutschland gibt es diese Vorspeise zwar auch, aber dort sind die Weinblätter meistens ziemlich zäh und schmecken bitter. Nicht so hier in Griechenland. Ich kenne das noch von Kreta. Vor vielen Jahren hatte die Vermieterin des Ferienhauses, in dem wir unseren Urlaub verbrachten, uns hierzu eingeladen. Später habe ich niemals wieder so leckere gefüllte Weinblätter gegessen. Aber diese hier kommen dem schon sehr nahe, auf jeden Fall kein Vergleich zu denen in Deutschland. Ich genieße das gute Essen und die Stille um mich herum. Hin und wieder gehen ein paar Touristen die Straße entlang. Aber niemand behelligt mich. Ein wenig Urlaubsgefühl kommt auf. Pauschaltourismus ist nun einmal nicht meine Welt. Jetzt weiß ich es endgültig und Burkhard stimmt mir zu. Wie schön ist es, wenn wir sonst mit dem Auto an abgelegenen Orten anhalten und Land und Leute kennen einatmen können. Wir brauchen kein Vier-Sterne-Hotel oder All-Inclusive. Wir sind zwar in einem wirklich sehr schönen Hotel untergebracht mit zwei großen Swimmingpools und abends hervorragendem Essen. Es gibt diesbezüglich wirklich nichts zu meckern. Aber dieses Hotel könnte überall auf der Welt stehen. Na gut, „überall“ gibt es im Oktober keine Sonne und Temperaturen von mehr als 20 Grad. Wir nehmen zum Abschluss beide noch einen Kaffee und schlendern zurück zum Bus. Darin sitzen bereits die ersten der Gruppe und halten sich die vollen Bäuche. Ob sie alle nach Knoblauch riechen weiß ich nicht, ich habe ja vorgesorgt.
Gemächlich geht es die Westküste entlang weiter Richtung Norden. Ein Halt machen wir noch bei einem Kloster in Filerimos. Dort ist es sehr schön, aber auch hier lässt eine Gruppe von 60 Personen es nicht zu, die ansonsten wohltuende Ruhe des Ortes zu genießen. Wir machen ein paar Fotos und kehren zurück zum Bus. Weiter geht es nach Rhodos-Stadt. Obwohl ich keinen Alkohol getrunken habe werde auch ich allmählich schläfrig. Dieses Schaukeln im Bus macht mich nach gewisser Zeit immer müde. Aber die Reiseleiterin bewahrt mich vor dem endgültigen Einschlafen. Ihr muss ich an dieser Stelle wirklich ein großes Kompliment machen. Sie versteht es die Rundfahrt attraktiv zu machen. Denn nicht wie üblich schildert sie nur die Sonnenseite der Insel, nein sie zieht auch hin und wieder kritisch Resümee in Bezug auf den allzu großen Touristenansturm auf Rhodos. Auch schildert sie die Verhaltensweisen der Einheimischen. Dies geschieht manchmal auf eine sehr subtile Art und Weise. So zeigt sie scherzend mehrmals auf die immer nur von Männern frequentierten Kafenions entlang der Straße. Sie erzählt, jeder kleine Ort enthält mindestens ein solches Kafenion und eine Kirche. Schließlich schildert sie, dass die Eltern für jede Tochter ein Haus als Aussteuer bauen müssen und nicht nur das, es muss auch vollständig möbliert werden. Und was bringt der Mann mit in die Ehe, nun sich selber. Das muss in Griechenland genügen. Sie erklärt weiter, dass die Bauruinen entlang der Straße alle fertig gebaut werden. Es sind halt die Häuser für die Töchter. Man fängt schon an, wenn sie noch klein sind und so wie Geld vorhanden ist wird daran weitergebaut. Grundsätzlich sagt sie, dass wenn man einem Griechen etwas Geld gibt, er sofort anfange ein Haus zu bauen. Das sei das Lebensziel aller Einheimischen. Ich erfahre so eine ganze Menge über das Land und merke kaum, dass die Rundfahrt bald zu Ende geht. Erst als wir am ersten Hotel in Rhodos-Stadt anhalten, damit Fahrgäste aussteigen können, wird mir bewusst, dass auch wir bald wieder am Ausgangspunkt zurück sein werden.
Fazit ist, dass wir aus der Fahrt das Beste gemacht haben. Wir haben Glück mit der Reiseleiterin gehabt und haben mittags in aller Stille gute griechische Küche erleben dürfen. Es hätte schlimmer sein können.

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