In aller Ruhe können wir heute den Alltag in Essaouira erkunden, Szenen im Café beobachten und beim Mittagessen dem Ruf des Muezzin lauschen.
In Essaouira übernachten wir zweimal. Wir haben Mohammed heute freigegeben. Und uns auch. So können wir einen Tag einmal ganz ohne Autofahren und ohne Uhr verbringen. Ich hatte allerdings den Eindruck, Mohammed war das gar nicht so recht. Er hat hier in diesem Ort offensichtlich keine Freunde und weiß nicht so recht, was er den ganzen Tag machen soll. Für alle Fälle hat er uns seine Telefonnummer gegeben.
Szenen im Café
Nun sitzen wir also hier in einem kleinen Café am Rande der Medina, trinken grünen Tee mit Minze und beobachten das Geschehen um uns herum. Direkt neben mir sitzen jeweils zwei Männer. Vor sich auf dem kleinen Tisch haben sie einen schwarzen Kaffee und Wasser stehen. Nur wenige rauchen. Einige schauen auf ihr Handy und schreiben e-mails oder telefonieren. Die meisten aber unterhalten sich lautstark miteinander. Manchmal denke ich, sie streiten. Aber das sieht nur so aus. Sie reden halt mit Händen und Füßen und mit voller Energie. Hier ist das persönliche Gespräch also immer noch wichtiger als die digitale Kommunikation. Und das, obwohl hier jeder ein Handy besitzt und jedes Hotel und fast jedes Cafe über WiFi verfügt.
Nun setzt sich ein marokkanisches Paar an einen der Tische. Sie ist verschleiert, wie 99 Prozent aller Frauen hier. Das hatte ich so nicht erwartet. Im Landesinneren schon eher, und in den kleinen Dörfern. Aber hier in Essaouira, wo es doch viel mehr Touristen gibt, als in anderen Teilen des Landes, hatte ich mir mehr moderne, westlich orientierte Frauen vorgestellt. Aber vielleicht ist gerade der Tourismus der Grund, dass sich viele noch mehr in ihre Tradition flüchten, um ihre Identität nicht zu verlieren.
Die Tagestouristen kommen!
Inzwischen wird es voller um mich herum. Die Tagestouristen aus Agadir und Marrakesch sind eingetroffen. Straßenmusiker und Bettler lassen sich sehen. Sie wittern das große Geschäft, wahrscheinlich zu Recht. Ansonsten würden sie nicht so hartnäckig versuchen, auf jede Art und Weise an Geld zu kommen. Sei es durch einfaches Betteln, sei es durch das Anbieten unerwünschter Leistungen oder sei es durch das ausdrückliche Einverständnis fotografiert zu werden, gegen Trinkgeld natürlich.
Wer als Tourist nur Agadir oder Essaouira erlebt, der lernt nicht Marokko und seine Menschen kennen. Das Leben hier ist nicht authentisch, zumindest das nicht, was einem hier gezeigt wird. Außerhalb dieser Touristenmagneten habe ich dagegen Menschen erlebt, die durch ihre spontane Freundlichkeit und Herzlichkeit beeindrucken. Jeder hat ein offenes Lächeln für den anderen, ganz unverstellt. Die Menschen vertrauen einander, auch wenn es hier und da einmal eine persönliche Enttäuschung gab.
Positives Menschenbild in Marokko
Ich vermute, man glaubt in Marokko ganz grundsätzlich zunächst einmal an das Gute im Menschen. Das ist bei uns inzwischen genau andersherum. Es wird betrogen so gut es geht, immer zum eigenen Vorteil. Und wenn das genug Menschen so machen, dann formt das das Menschenbild. Am Ende geht man davon aus, dass jeder jeden betrügt. Und wer das nicht macht, ist am Ende der Dumme.
Restaurantbesuch in der Medina von Essaouira
Nach einem langen Spaziergang am Hafen und schließlich kreuz und quer durch die engen Gassen der Medina, verspüre ich etwas Hunger. Wir finden ein nettes kleines Restaurant in einer Seitengasse mitten in der Medina. Es ist traditionell eingerichtet mit niedrigen Tischen, langen Bänken und kleinen Hockern. Die Wände sind vollständig bedeckt mit Wandvorhängen in warmen Rot- und Grüntönen. In den gleichen Farben gibt es unzählige Kissen, die ein bequemes und entspanntes Sitzen garantieren. Der Kellner führt uns an einen der kleinen Tische.
Gegenüber sitzen noch ein Mann und eine ältere Frau, französisch sprechend. Im hinteren Teil des Restaurants stehen ein paar Tische zusammengeschoben, und dort hat sich eine kleine Gruppe junger Leute versammelt, offensichtlich Europäer und Einheimische gemeinsam.
Nachdem wir unser Essen bestellt haben, Tatjine mit Fisch und Gemüse, und ich vorweg noch einen Tomatensalat mit Thunfisch, kommt als erstes – wie immer – frisches Brot und zwei Schälchen mit Oliven, schwarzen und grünen. Dazu gibt es diesmal noch eine scharfe, rote Sauce. Ich erkenne die Kerne von Chilischoten und tunke das Brot ganz vorsichtig ein. Puh, das ist mir zu scharf.
Benehmen der Touristen
Im Restaurant ist es ein wenig dunkel und herrlich kühl und auch ruhig, mit Ausnahme der arabischen Musik, die im Hintergrund läuft. Da die Türe geöffnet ist, kann ich dem Treiben in der Gasse unbemerkt zusehen. Immer wieder sind auch Touristen zu sehen, und leider viel zu viele, die offensichtlich nicht wissen oder wissen wollen, wie man sich in einem islamischen Land kleiden sollte. Am liebsten würde ich dann aufspringen, und ihnen ein großes Tuch über die nackten Schultern oder das freizügige Dekolletee legen. Aber sie würden es wahrscheinlich nicht begreifen, dass sie sich daneben benehmen. Denn die Einheimischen sagen dazu nichts, sehen großzügig darüber hinweg, wollen den Fremden nicht brüskieren, vielleicht auch einfach den Touristen nicht vergraulen. Aber langfristig kann es dazu führen, dass die Fremden als Bedrohung der eigenen Kultur und Religion empfunden werden, und damit würden wir ein weiteres islamisches Land verlieren, das wir noch bereisen dürfen.
Ruf des Muezzin
Das Essen wird serviert. Es schmeckt gut. Allerdings ist es etwas schwierig zu essen. Der Fisch ist nicht filetiert. Er ist eingebettet in Karotten, Paprika, Kartoffeln und Oliven. Da ist es etwas problematisch das Fischfleisch so zu zerteilen, dass keine Gräten mit dabei sind. Plötzlich vernehmen wir lautstark den Muezzin vom nahegelegenen Minarett. Schnell wird die Musik abgestellt, und genau so schnell wieder eingeschaltet, sobald der Ruf beendet ist. Wir nehmen zum Abschluss noch einen Minzetee. Er wird traditionell mit frischen Minzeblättern in einer kleinen Silberkanne serviert. Beim Eingießen wird die Kanne so hoch gehalten, dass sich im Teeglas Bläschen bilden, die eine kleine Schaumkrone bilden. Schließlich zahlen wir am Eingang des Restaurants – 150 Dirham für uns beide, das sind noch keine 15 Euro. Für uns kann das Leben hier sehr preiswert sein, wenn man sich etwas abseits der typischen Touristenpfade bewegt.