Erlebnisse im Fergana Tal
Die nachfolgend beschriebenen Erlebnisse im Fergana Tal werde ich wohl nie mehr vergessen. Sie haben mir gezeigt, wie schnell man ohne Schuld in eine schwierige Situation kommen kann.
Das Fergana Tal liegt im Nord-Osten von Usbekistan. Es ist umschlossen von hohen Bergketten, so dass es sowohl vor den ganz Nordwinden, als auch vor den heißen Südwinden geschützt ist. Nur vom Westen her ist es offen. Durch diese günstigen klimatischen Verhältnisse ist das Tal sehr grün und fruchtbar.
Es umfasst eine Fläche von rund 80.000 Quadratkilometern, wovon nur ein geringer Teil zu Usbekistan gehört. Der größte Teil gehört zu Kirigisistan. Der kleinere usbekische Teil wird fast vollständig von den Grenzgebieten Kirgisistans und Tadschikistans umgeben. Man erreicht dieses Gebiet von Taschkent aus nur über den mehr als 2.000 Meter hohen Kamchik-Pass.
Unterschiedlicher Musikgeschmack
Die Fahrt mit Reisebussen ist ins Fergana-Tal nicht erlaubt. Deshalb verteilte sich unsere kleine Reisegruppe auf drei Pkw’s. Bereits am Vorabend fragte Bernd – einer unserer Mitreisenden -, ob er das Fahrzeug mit uns teilen könne. Uns war das recht.
Bereits um halb neun ging die Fahrt los. Burkhard und ich machten es uns auf dem Rücksitz bequem. Kaum waren wir unterwegs, schaltete der Fahrer das Autoradio an und legte eine CD ein. Wie Burkhard schon beschrieben hat, war es feinste Rap-Musik von Dr. Alba und andere Hip-Hop Varianten. Offensichtlich hatte er damit weder unseren, noch den Geschmack von Bernd getroffen. Wir blieben jedoch höflich, und ertrugen die gesamte Fahrt über (gefühlte 20 Stunden) die raumfüllenden Rhythmen. Erst später in einem Gespräch mit unserer Reiseleiterin Ira, in dem wir uns über den Musikgeschmack des Fahrers verwundert ausdrückten, erfuhren wir, dass er uns mit dieser Musik einen Gefallen tun wollte. Dank Vermittlung durch Ira konnte das Missverständnis geklärt werden, und die nächsten beiden Tage blieben musikfrei.
Und immer wieder Kontrollen
Das Gebiet rund um den Pass liegt sehr nahe der Grenze zu Tadschikistan. Aus beiden Richtungen gibt es jeweils vor der Passhöhe eine Kontrollstelle. Dort machten wir zwangsläufig eine erste längere Pause. Alle Fahrzeuge und Pässe werden sehr sorgfältig kontrolliert. Wir mussten die Fahrzeuge verlassen und ein paar Schritte zu Fuß bis zu einem kleinen Grenzgebäude gehen. Dort reihten wir uns geduldig in die Schlange anderer Wartenden ein. Minute für Minute wurde die Schlange kürzer, schließlich kam ich an die Reihe. Ich nahm meine Sonnenbrille ab.
Der Zöllner schaute sich meinen Pass genau an, und kontrollierte auch, ob im Pass ausreichend Bestätigungen für Übernachtungen vorhanden waren. Anhand des Einreisestempels kann er erkennen wie viele Nächte wir in Usbekistan bereits verbracht haben. Da es bisher nur die zwei Nächte in Taschkent waren, hatte er nicht viel zu kontrollieren. Ich selber achtete aber sorgfältig darauf, dass nach Rückgabe des Passes der vom Hotel eingeklebte Zettel noch vorhanden ist. Burkhard und ich hatten beide die gleiche Idee, diese Zettel in der Brieftasche aufzubewahren, damit sie nicht verloren gehen. Denn schließlich muss man den Pass bei jeder neuen Übernachtung abgeben, und die Zettel werden dann immer mehr. Als Ira das bemerkte, erklärte sie uns, dass dies Probleme geben könne. Denn in jedem Hotel wird wiederrum überprüft, ob ausreichend Zettel für die vergangenen Nächte im Pass vorhanden sind. Wir sollten also alle Zettel im Pass belassen. Wie gut, dass wir eine so aufmerksame Reiseleiterin hatten. Ihr entging nichts. Aber wer weiß schon, welche schlechten Erfahrungen sie in der Vergangenheit gemacht hat. Und wenn es Ärger gibt, dann hat sie die Arbeit und ist verantwortlich.
Fotografierverbot
Auf dem weiteren Weg zum Pass muss man drei Tunnel durchfahren. Kurz vor dem ersten Tunnel machten wir noch eine kleine Pause. Als erstes erklärte uns Ira, dass wir diese Tunnel auf gar keinen Fall fotografieren dürfen. Hier gilt das Gleiche wie für andere militärisch wichtigen Gebäude, ein absolutes Fotografierverbot. Sollten wir gegen dieses Verbot verstoßen, so würden wir und die gesamte Gruppe sehr viele Probleme bekommen. Und zwar nicht nur finanzieller Art. Wir beherzigten das Gesagte und begnügten uns mit ein paar Fotos von der herrlichen Berglandschaft. Ohne Zwischenfall durchfuhren wir die drei Tunnel. Leider lief das auf der Rückfahrt nicht so glimpflich ab.
Tunneldurchfahrt mit Hindernissen
Wie auf der Hinfahrt hatte ich es mir auf dem Rücksitz bequem gemacht. Da das Autoradio inzwischen dank Vermittlung durch Ira schwieg, hörte ich meine eigene Musik mithilfe meines iPhones. Zu den Klängen von Santana und Supertramp verstrich die Zeit recht schnell. Grenzkontrolle und Passhöhe hatten wir bereits hinter uns und wir durchfuhren wieder die drei Tunnel Richtung Taschkent. Als wir aus dem letzten Tunnel herauskamen sah ich mit Gewehren bewaffnete Militärbeamte auf der linken Seite. Sie forderten unseren Fahrer auf, das Auto anzuhalten. Ein Beamter ging um das Auto herum und öffnete die Autotüre an meiner Seite. Inzwischen hatte ich schon die Kopfhörer abgenommen und schaute den Beamten verwundert an. Er gestikulierte wild und wollte wissen, wer telefoniert habe.
Inzwischen kam Ira herbei gelaufen. Sie war in einem Fahrzeug vor uns, hatte aber zum Glück im Rückspiegel bemerkt, dass es offensichtlich Probleme gab. Sie fragte gleich nach, was den los sei. Ich sollte aussteigen und dem Beamten meinen Pass vorzeigen und mein iPhone übergeben. Das befolgte ich sofort. Sie schien sehr aufgeregt. Das übertrug sich nun auch auf mich. Dabei war ich mir gar keiner Schuld bewusst. Ich hatte doch nur Musik mit meinem iPhone gehört. War das etwa auch verboten? Ich sollte wieder im Fahrzeug Platz nehmen. Nach einer Weile kam Ira mit meinem iPhone zu mir. Es war wohl in den Ruhezustand übergegangen. Ich sollte es wieder entschlüsseln. Mit inzwischen zittrigen Händen gab ich meinen Zahlen-Code ein. Ira nahm das iPhone zurück und brachte es erneut dem Beamten.
Erinnerung an DDR-Zeiten
Tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf. Erinnerungen an Grenzkontrollen der ehemaligen DDR wurden wach. Das war früher die reinste Schikane. Manches Mal musste ich meine Handtasche komplett ausräumen und alle Gegenstände – selbst die kleinsten – auf einem Tisch ausbreiten. Man fühlt sich in diesem Moment absolut nackt. Und das Schlimmste ist, man weiß, dass man dieser Willkür hilflos ausgeliefert ist. Im Gegenteil, ein falsches Wort, und man darf stundenlang warten. Aber im Gegensatz zu Usbekistan war die DDR dann doch ein Rechtsstaat, auch wenn das heute manchmal angezweifelt wird. Und als West-Deutscher hatte man am Ende auch die Gewissheit, dass man auf jeden Fall in sein Land zurück konnte.
Wie sah das aber hier in Usbekistan aus. Wenn ich – aus welchem Grund auch immer – gegen irgendein Gesetz verstoßen hatte, oder dem Militärbeamten mein Gesicht nicht gefiel, was dann? Würde man mich hier einsperren. Wie mir Ira später erzählte, wäre das nicht auszuschließen gewesen. Deshalb war sie auch so angespannt. Nun ja, ich will die Spannung nicht weiter erhöhen. Man gab mir Pass und iPhone zurück. Sie hatten sich wohl die Fotos angesehen und festgestellt, dass dort nichts Verbotenes gespeichert war. Schließlich konnten wir weiterfahren.
Wieso überhaupt die Kontrolle?
Natürlich rätselten wir, wieso sie uns überhaupt angehalten hatten und weshalb sie glaubten, ich hätte telefoniert. Es gibt hierfür nur eine Erklärung. Ich hatte mein iPhone auf Empfang, so dass Signale ausgestrahlt wurden. Vermutlich wurden die Signale innerhalb der Tunnel unterbrochen und diese Aktivitäten sind vom Militär wahrgenommen worden. Sie konnten somit nur nachverfolgen, dass im Fahrzeug offensichtlich jemand ein aktives Smartphone besaß. Und hieraus ergab sich die Vermutung, dass mit dem Smartphone telefoniert oder sogar fotografiert worden war. Danach habe ich mein iPhone immer in den Flugmodus geschaltet. Nur bei absoluter Notwendigkeit und an sicherem Ort, wie zum Beispiel im Hotel, habe ich das iPhone wieder aktiviert.
Ein nachhaltiges Erlebnis
Auf jeden Fall war das Erlebnis nachhaltig. Am liebsten wäre ich nach Hause geflogen. Mir war bewusst geworden, welcher Willkür ich hier in Usbekistan ausgesetzt werden kann. Natürlich hatte ich zuhause einiges über das Land gelesen und mir war klar, dass der Staat nur offiziell Demokratie und Rechtsstaatlichkeit proklamiert. In der Realität gibt es genügend Beispiele für das gelebte Gegenteil. Dies zeigt sich schon allein an der Tatsache, dass der Präsident trotz Wahlrecht bereits seit Beginn der Unabhängigkeit 1991 unverändert im Amt ist. Aber theoretisches Wissen und unmittelbare, persönliche Erfahrung sind nun einmal zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Das hatte ich nun begriffen. Bei jeder weiteren Passkontrolle – und davon gab es mehrere – hatte ich ein mulmiges Gefühl. Denn dieser Vorfall im Fergana-Tal ist bestimmt dokumentiert worden, da bin ich mir sicher. Und so fühlte ich mich den Rest des Urlaubes ständig beobachtet. Als wenn ich abgemahnt worden wäre. Der nächste kleine Fehler, und die Falle schnappt zu.
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